Schandauer Ratsstube
Ich, Johannes Christlieb Bartholomäus, Pfarrer zu Schandau, habe dieses niedergeschrieben denen, die mir folgen, zu Lehre und Gleichnis. Es geschah im Jahre unseres HERRN sechzehnhundertundsiebzehn, daß ein Streit ausbrach unter den Ratsherren allhier, um eine Nichtigkeit. Denn es gienge darumb, wann dem Fergen an der Bornfähre solle der Fährpfennig ausgehendiget werden. Sagten die einen, deren Wortführer der ehrenwerte Kaufmann Georg Hoyer und der fromme Hieronymus Kuntze, der Beutler, es müsse dies vor der Überquerung geschehen, sonst der Ferge die Arbeit vollbracht und dann sehen müsse, daß er so oder so um den Lohn geprellt wäre, wenn sein Gast leeren Beutels sei oder leichtfüßig davoneile. Meinten aber doch der Zimmermann Hans Streller und mit ihm all die braven Handwerker, niemand sonst erhalte Lohn, bevor er nicht sein Werk endgültig vollbracht, und könne doch der Ferge sich zeigen lassen, ob ein Pfennig da sei, wäre wohl auch stark genug, einen Flüchtigen zu halten. Widersprachen dem Herr Hoyer, weil niemand solle einem wie dem Fährmann sein Vermögen offenbaren müssen, und unser lieber Kuntze, der uns in seiner Frömmigkeit eine wahre Hilfe immer gewesen, wollte dem Fergen eine polizeiliche Handlung wie das Festhalten nicht gewähren.
Wäre also ein Entschluß möglich gewesen,
hätten sich Kuntze und Herr Hoyer nicht zerstritten darüber,
ob der Pfennig zu geben sein möge, wenn der Gast noch auf dem Stege
oder schon im Kahne sei. Herrn Hoyer sagte, seie der Gast erst einmal im
Kahne, wäre er wohl schwer wieder hinaus zu bringen. Redete Kuntze
dawider. Denn der spöttische Ferge hatte dem Frommen manch Streich
aufgehalset, und letzterer nun vermutete, er würde gelegentlich trotz
übergebenem obolus nicht aufgenommen werden.
Diese problema wäre minder Bedeutung geblieben,
beschäftigte aber den Hohen Rat seit Mariä Lichtmeß und
war Mariä Heimsuchung noch immer nicht gelöset. Mußte auch
über die Verbesserung der Brunnen und die Abwehr der pestilencia
beschlossen werden, aber sie stritten über den Fährpfennig und
waren die Bürger von Schandau sehr erbost darüber und rumoreten
mächtig.
So einigten sich die Herren Räte schließlich
darauf, den Schösser auf Hohnstein um Schlichtung anzurufen.
Waren sie wohl geübet, sich gegenseitig Schimpf an
den Kopf zu werfen, fehlte ihnen jedoch die Fertigkeit, in gesetzten Worten
ihr Anliegen vorzubringen und baten mich deshalb, als ihr secretarius
ihnen auf Hohnstein beizustehen. Ich fande mich dazu bereit, sintemalen
mein Herr Vater selig gelahrter advocatus in Dresden gewest, und
ich in meiner Jugend gar manches von seinem Tun und Treiben abgeluchset
hatte. War auch der Schösser ein Freund aus meiner Kindheit. Sah aber
manche Gefahr in der Unternehmung, ist doch die Fähre in Verwaltung
des Amtes Hohnstein und nur gepachtet, und die Stadt hatte kaum einige
Rechte an ihr.
So zogen wir eines Morgens im Juli dahin. Zu Fuß,
versteht sich, um dem Schösser Ergebenheit zu beweisen, und weil wohl
der Borg der Gäule für Streller und mich hätte müssen
aus dem Stadtsäckel bezahlet werden. Die letzten Tage waren schwüle
gewesen, und wir hatten mit zeitigem Aufbruch wollen die von der Nacht
verbliebene Kühle nutzen. Es drückete aber wie am hellen Tag.
Voran schritten Herr Hoyer und unser lieber Kuntze, der
sich an meine Seite hatte schlagen wollen, aber den Platz durch Streller
besetzt fand. Dieser mochte wohl gar nicht sich neben dem hochmütigen
Kaufmanne finden und zog mich vor, den Pfarrer, den er achtete auf eine
mürrische Art. Auch jetzt war er schweigsam und bedauerte wohl den
Verlust des Arbeitstages um einer lächerlichen Nichtigkeit willen,
die Eitelkeit zu ungehörigem Maße geblähet.
Als wir schon eine Stunde gegangen und den so genenneten
Tiefen Grund empor strebeten, deutete Streller auf eine dunkle Wolke und
sprach:
"Es wird wittern."
Gleichsam als Antwort grummelte es in der Ferne. Das veranlaßte
unseren lieben Kuntze, kräftig auszuschreiten, auch wenn der wohlbeleibte
Kaufmann in seinen theuren Kleidern auf der ansteigenden Straße kaum
folgen konnte. Früher schon verwunderte ich mich, daß der Beutler
so viele Worte unserer Heiligen Schrift flüssig hersagte, die sich
auf Blitz und Donner bezogen, und fand die conclusio, er fürchte
Gewitter. Schließlich begann es zu regnen, und weil wir noch eine
Stunde Weges bis Hohnstein vor uns hatten, stellten wir uns unter einem
überhängenden Felsen zusammen, das Wetter abzuwarten, was wohl
nach seiner Art heftig sein, aber nicht lang dauern würde. Wie auch
geschrieben steht: "Da wird man in der Felsen Höhlen gehen und
in der Erde Klüfte vor der Furcht des Herrn und vor seiner herrlichen
Majestät, wenn er sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde."
Standen wir also geducket und gedränget, während
Blitz um Blitz niederfuhr, der Regen auf die Erde schlug und Gottes Donner
gar fürchterlich von den Felsen widerhallete. Drüben rauschete
der Bach immer stärker und ein Rinnsal leckte nach unseren Füßen.
Unser lieber Kuntze hatte sich ganz in den niedrigen Hintergrund
gezogen, und seine Beinkleider hatten sich gefeuchtet, daß zu befürchten
stand, es würde sich bald ein Gestank ausbreiten. Herr Hoyer mühte
sich, sein schmuckes Wams den hereingetrieben Tropfen zu entziehen. Streller
allerdings stand weit vorn und schien sich daran zu erfreuen, daß
ihm Stirn und Wangen gekühlet wurden. Da begann der Beutler zu murmeln
und zu beten:
"Des entsetzt sich mein Herz und bebt. O höret
doch, wie sein Donner zürnt, und was für Gespräch von seinem
Mund ausgeht! Er läßt ihn hinfahren unter allen Himmeln, und
sein Blitz scheint auf die Enden der Erde. Ihm nach brüllt der Donner,
und er donnert mit seinem großen Schall; und wenn sein Donner gehört
wird, kann man's nicht aufhalten. Gott donnert mit seinem großen
Donner wunderbar und tut große Dinge und wird doch nicht erkannt."
Streller hörte zu, drehte sich dann heftiglich um
und schrie: "Und der Herr antwortete Hiob aus dem Wetter und sprach:
Wer ist der, der den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand?"
Welch Kenntnis der Schrift mich überraschte. Fügte auch hinzu:
"Wenn das Wetter vorüber, gehe ich zu meiner Arbeit. Mögen
die Herren beim Schösser sprechen, wie ihnen lieb ist."
Sagte Herr Hoyer: "Lieber Herr Pfarrer, entschuldigen
Sie uns auf Hohnstein, ich bitte sie inständig. All Kosten will ich
Ihnen doppelt vergüten. Ist doch der Ferge Manns genug, sich seinen
Lohn zu sichern ohne unsere rätliche Beihilf."
Als das Wetter vorüber, strebte Streller rüstigen
Schrittes dahin zu seinen Hölzern, Hoyer entwandelte, Kühle,
Feuchte und erfrischtes Grün genießend, und mit Abstand hinterdrein
schlich stinkend unser lieber Kuntze, um den sich niemand kümmerte.
Ich verbrachte einen köstlichen Abend mit meinem
Freunde zu Hohnstein bei Wein und Braten auf Herrn Hoyers Kosten. Am Morgen
wanderte ich nach Schandau zurück, lüftete mein Gehirn und schmunzelte
bei der Höhle, in die wir uns gerettet, und die künftig bei allem
Volke zu aller Zeit sollte "Schandauer Ratsstube" benamset werden.
Gelobt sei der HERR, der in seiner unendlichen Güte
sogar kleinliche Dummheit mit einem Donnerwetter corrigieret.
Vor zwei Jahren, als die Schweden ins Land einfielen, hat unser königlicher Herr und Kurfürst wohl kaum bemerkt, daß die Bauern hier im Gebirge ihre alten Zufluchten wieder hergerichtet haben und es mancherorts zuging wie im großen Kriege vor siebzig Jahren. Aber das Feuer, als Fritz mit den Burschen hier oben seinen Geburtstag feierte, hat er gesehen, obwohl der Stein beinahe 200 Fuß höher als die Festung ist. Wenn er schon nicht in Warschau residieren kann, weil ihn der Schwedenkönig von dort vertrieben hat, wollte er also wenigstens den Stein besteigen. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht, um zu beweisen, daß er trotz aller Mißerfolge noch Manns genug sei.
Wir erwarteten ihn auf der Südseite an der Stelle,
wo der Pfad der Burschen vom Feldweg abzweigt und den bewaldeten Hang hinaufführt.
Dort begann wohl früher auch der Zugang zu der alten böhmischen
Veste, denn der Pfad ist fester gestampft, als es die Füße der
Burschen vermocht hätten. Auch sind weiter oben im Felsen Tritte ausgehauen
und die Widerlager für hölzerne Stufen. So ist der Aufstieg für
einen gelenkigen Menschen nicht schwer zu bewältigen.
Ich stand da also mit einigen Burschen, und er kam pünktlich.
Er hatte ein kleines Gefolge bei sich aus einigen Herren, die wohl lieber
in der bequemen Festung geblieben wären, und einem Offizier mit fünf
Soldaten. Letztere waren mir lieb, denn ich fürchtete, ich würde
mit meinen Leuten die Herren nicht alle hinaufbefördern können,
und hoffte auf die Hilfe des Militärs.
Aber es kam anders. Der König klopfte mir freundlich
auf die Schulter, nickte den Burschen zu und befahl seiner Begleitung,
auf ihn zu warten. Dann zog er mit uns los. Es war eine rechte Plackerei
für den Herrn. Für die Burschen nicht, was sie sehr gewundert
hat. Er hat sich redlich Mühe gegeben, mit eigener Kraft nach oben
zu kommen, obwohl er sehr schwitzte und schnaufte. Er ist immerhin achtunddreißig
Jahre alt. Aber die Jagd hat ihn wohl trotz seines Leibesumfanges beweglich
gehalten.
Wir haben für den Aufstieg keine ganze Stunde gebraucht.
Oben verschnaufte der König ein wenig, besichtigte dann eingehend
die alten Gemäuer, kletterte auch weit auf die westlichen Felstürme
hinüber, wobei er zwei Mal einen gefährlichen Sprung wagte. Er
beobachtete eine Weile mit gerunzelter Stirn die Festung, ließ sich
aber dann auf einem Steinblock im östlichen teil der Gipfelfläche
nieder, wo man den Strom und die Ortschaften im Tale , die Steine am anderen
Ufer und die Dörfer dabei bequem betrachten und weit ins Land hinaussehen
kann. Wir boten ihm von unserem Proviant an: Rauchfleisch, Schwarzbrot,
billiger Rotwein. Er war erfreut, bediente sich genießerisch, aber
nicht unmäßig und dankte freundlich. Dann saß er und schaute.
Niemand sprach. Mancher von den Burschen schlief zwischendurch ein Weilchen.
Es war ein seltsam stiller Fleck in dem kriegsgeschüttelten Land mit
dem vom Schicksal geprüften König.
Als er sich erhob, hatte die Sonne den Scheitel ihrer
Bahn schon einige Zeit hinter sich. Es fiel ihm schwer, sich aus der Umarmung
der Landschaft zu lösen. Ohne daß wir ihn weisen mußten,
fand er zurück. Abwärts schwitzte und schnaufte er nicht, aber
zwei Burschen, die vor ihm waren, führten ihm gelegentlich den Fuß,
weil er wegen seiner Wohlbeleibtheit die Tritte nicht sah, die er benutzen
konnte. Als wir bei seinem Gefolge ankamen, das sich offenbar mühsam
durch die langweilige Warterei gehungert hatte, faßte er mich bei
der Schulter und schüttelte mich wortlos. Dann nickte er den Burschen
zu, stieg langsam auf sein Roß und ritt davon.
Einige Tage später erhielt ich vom Amtmann den Befehl,
den "Zugang auf den Felsen ersteiglicher zu machen". Zwei Steinmetzen
bekam ich dazu , einige Forstarbeiter. Ein junger Baumeister aus der Hauptstadt
zeichnet Pläne, die wir nicht brauchen, aber ich gönne ihm die
Möglichkeit, auf Kosten der kurfürstlichen Kasse in der Gegend
herumzustreifen. Die Leute werken, ich kann sie hören. Das Wetter
ist gut: trocken, aber nicht zu warm. Unten liegt ein Obelisk, der heraufgebracht
werden soll, wenn die Arbeiten beendet sind. Die Inschrift ist lateinisch.
Der Baumeister hat lange gerätselt, was sie bedeuten soll. Er kann
sie deuten, aber nicht so richtig übersetzen.
Man hört, der König habe seine katholischen
Priester ersucht, bei Sankt Ägidius für ihn um Unterstützung
zu bitten. Die Leute verwundern sich darüber, weil doch dieser Heilige
zwar ein Nothelfer ist, aber doch nichts mit Politik und Krieg zu tun hat.
Aber der Stein hier ist nach ihm benannt. Vielleicht war er es, der bewirkt
hat, daß die Schweden in Rußland einfallen wollen. Als der
Zar auf der Festung zu Besuch war, sah er ganz danach aus, als könnte
er es mit allen seinen Feinden aufnehmen.
Zwei Wochen wird es noch dauern, dann ist der Aufstieg gebaut und der Obelisk aufgerichtet. Die Burschen werden wohl auch künftig noch manches Fest hier oben feiern. Aber traulich und heimelig wird es nie mehr sein.
Wie das Dorf Seltensaat wüst wurde
Keiner im Dorf Seltensaat wußte, wie man so etwas anpackt und keiner auch hätte die Mittel gehabt, es auszuführen. Alle waren Bauern. Sie verstanden genug von Feld und Vieh, manches auch von Ausbesserungen an Haus und Hof. Aber keiner kannte sich im Brunnenbau aus. So verkam die Wasserstelle unter dem Lilienstein mehr und mehr. Vor fünfzig Jahren, als die Burg auf dem Felsen noch bestand und deren Vogt sich kümmerte, brachte sie reichlich Wasser. Jetzt nun langte es nicht mehr aus, und nach einem heißen Sommer begannen die Leute, um den Bestand ihres Dorfes zu bangen.
Da entschied der Schultheiß mit landesherrlicher Genehmigung durch Georg den Bärtigen und im Einverständnis mit den Bauern, die Quelle zu verkaufen unter der Bedingung, daß der zukünftige Besitzer den Wasserbedarf des Dorfes gegen Entgelt und bei einem nur mäßigen Gewinn für sich zu befriedigen habe. Er hielt Umschau im Land nach einem geeigneten Manne für dieses Unternehmen, und seine Wahl fiel auf Herrn Hoyer aus Schandau.
Das war ein Kaufmann, reich geworden durch den Getreide-
und Salzhandel mit den Böhmen, lange schon hier ansässig. Sein
jüngerer Sohn Johannes hatte das Bauhandwerk in Italien von Grund
auf gelernt, und man hörte ihn häufig von den alten Aquädukten
schwärmen. Weil Herr Hoyer nahebei wohnte, traute ihm der Schultheiß
ein Gewissen für das Wohlergehen des Landes zu.
Der Kaufmann bekam die Quelle und ein Stück Land
drumherum für den sinnbildlich gemeinten Preis von einem Apfel und
einem Ei und sein Sohn übernahm es, Pläne zu zeichnen, Bauarbeiter
zu werben und für die nötigen Dinge zu sorgen. Hoyer hatte sorgfältig
gerechnet, was ihm wohl Schachtung, Abdichtung und Fassung der Quelle nebst
Brunnenhaus und Verwaltung kosten würden, und alles für sich
erträglich gefunden. Als ihm Johannes sein Vorhaben beschrieb, wurde
er unruhig. Wie der Sohn es im Süden gesehen hatte, wollte er nicht
die Quelle nur fassen, sondern auch ihr Wasser in geschlossenen Kanälen
und Röhren bis in die Höfe leiten. Das natürliche Gefälle
des Geländes fordere dies geradezu von der Vernunft.
Der Alte überlegte, wen er wohl als zweiten Geldgeber
gewinnen könnte, und fand den von Schleynitz, von niederem Adel und
auch Kaufmann in Schandau, dessen Tochter Christiane, die ungewöhnlich
gebildet war und sich selbst ketzerisch "Krystel" schrieb, eine
freiheitliche und doch recht innige Beziehung zu Johannes pflog.
Die Väter kamen überein, gemeinsam die Mittel
für das Seltensaatvorhaben aufzubringen, um damit eigene Einkünfte
für Johannes zu schaffen und dann die Kinder zu verheiraten. Für
beide war dieser Handel vorteilhaft, und den jungen Leuten war es recht.
Zwar sahen sie nicht so sehr aufs Geld, lebten in der Liebe und ihren Gedankenwelten
und verließen sich auf die Talerkisten der Alten. Aber irgendwann
- das sahen sie ein - würden sie wohl auch selbständig werden
müssen.
Im Frühjahr begannen die Arbeiter von Johannes zu
schachten und zu schaffen und erzeugten damit den ersten Ärger aus
seiner Unbedachtsamkeit. Auch während der Bauzeit brauchten die Höfe
in Seltensaat natürlich Wasser, und das war aus dem Hoyerschen Born
nun erst einmal nicht mehr zu haben. Es mußte aus anderen Quellen
weither geholt werden, und einige begannen gar, uralte Brunnen auf ihren
Höfen wieder instand zu setzen. Der alte Kaufmann witterte Gefahr
für den künftigen Absatz seiner flüssigen Ware und drängte
den Sohn, die Arbeiten zu beschleunigen und abzukürzen. Der aber ließ
sich nur wenig beeinflussen. Viele schöne Tage gab es in diesem Jahr.
Die jungen Leute zogen früh von Schandau hinauf auf die Sellnitz.
Johannes beaufsichtigte und lenkte seine Leute. Krystel kannte drei, vier
Plätze, wo sie gern saß und auf den Königstein und die
anderen Felsgebilde jenseits der Elbe oder auf die Sandsteinwände
im Osten blicken konnte. Sie führte stets eine Schreibtafel mit sich
und verfaßte Gedichte und andere Schnurren.
Mit dem Sommer ging auch der Bau zu Ende. Die Arbeiter
zogen fort, sich einer andere Anstellung zu suchen, hatten aber wohl auch
genügend verdient, um sicher über den Winter zu kommen. Johannes
entwarf ein Lagerhaus für den von Schleynitz, und Krystel saß
vor dem väterlichen Kamin, fand im Flackern der Flammen ähnliche
Anregungen wie im Flirren der Landschaft und kritzelte ihr wirres Zeug.
Auf den Höfen von Seltensaat lief das Wasser stetig und sicher aus
den Röhren, allerdings nur, wenn in der Gegenrichtung auch das Geld
floß und vom Verwalter die Schieber geöffnet wurden. Aber niemand
war so recht willens, den hohen Preis zu zahlen. Der alte Hoyer hatte zwar
aufrichtig, bescheiden und endgültig gerechnet, Abschreibungen, Betriebskosten,
Steuern, den kleinen vereinbarten Gewinn und die Ergiebigkeit der Quelle
ins Verhältnis gesetzt und trotzdem verdammt viele Pfennige für
den Trog voll Wasser herausbekommen. Der Schultheiß und auch der
Schösser in Hohnstein mußten seine Rechnung anerkennen.
Da nutzten die einen von den Bauern lieber notdürftig
ihre schlechten Brunnen, die anderen holten das Wasser noch immer von weither.
Die Befürchtungen Hoyers aus der Zeit des Baubeginns bestätigten
sich.
Im Frühjahr holte Johannes einen Teil seiner ehemaligen
Arbeiter zusammen und ein paar neue und begann mit dem Lagerhaus. Der Vater
murrte über die Spärlichkeit der Einnahmen aus dem Brunnengeschäft.
Aber der von Schleynitz, aus adeliger Tradition gewohnt, über lange
Zeiträume zu denken, beruhigte ihn.
Und siehe: Es wurde wieder einmal ein trockener Sommer.
Nur der Hoyerborn gab zuverlässig Wasser. Wohl oder übel mußten
die Bauern den hohen Preis zahlen. Nach der Ernte waren alle hoch verschuldet.
Dazu kam, daß sie ein Mißtrauen gegen den sittenstrengen Kaufmann
gefaßt hatten, wohl wegen der Baugeschichte und des hohen Preises,
und sich Geld borgten bei einem landesherrlich genehmigten, aber gerade
deshalb wucherischen Banker in Dresden. Sie feierten ein bitteres Weihnachten.
Schon im nächsten Frühjahr gab die Hälfte
der Bauern ihre Wirtschaften auf und zog davon. Hoyer brachte ihr Land
und ihre Gehöfte an sich und bot ihnen an, auf seine Rechnung für
ihn zu arbeiten. Aber sie ließen sich nicht halten.
Es dauerte noch zwei Jahre, und die gesamte Gemarkung
gehörte Hoyer. Johannes ließ die veralteten Höfe wegreißen
und baute statt ihrer eine moderne Meierei, wohin er mit Krystel zog. Diese
ergriff voller Eifer und Geschick das Zepter in Haus und Hof. Keiner hätte
dem versponnenen Weibsbild diese Zielsicherheit zugetraut. Johannes reiste
in der Gegend umher, um seine Baustellen zu betreuen. Auch des nachts waren
sie mit Freuden fleißig, denn er wußte manche reizvollen Spiele
aus dem sinnenfrohen Italien, und Krystel hatte einiges gelernt, als sie
ihrer französischen Erzieherin zusah, die nach dem Tode der Mutter
auch den Vater betreute. Ob sie von dem Fräulein unmittelbar ausgebildet
worden war, darüber schwieg sie mit einem verträumten Lächeln.
Aber ein Kind wollte sich nicht einstellen.
So lebten sie froh und zufrieden, bis die Pest über
das Land kroch. Johannes brachte sie von seinen Fahrten mit in die Meierei
und steckte auch sein Weib an. Das Gesinde floh. Krystel und Johannes tranken
ein Arkanum, das die Frau schon lange in ihrer Truhe aufbewahrte. Sie starben
in Frieden. Die unbehüteten Gebäude der Meierei gingen in Flammen
auf. Unter der Asche fand man nur noch einige Knochen und die Schädel
des Paares.
Das Volk in der Gegend schrieb die Schuld am Untergang
des Dorfes Seltensaat dem welschen Freigeist Johannes und der kinderlosen
Hexe Krystel zu, die selbst ihren christlichen Namen derart verstümmelt
hatte, daß er den kristallschützenden Berggeistern angenehm
sein mußte. So sagte man schließlich, die beiden hätte
der Teufel geholt.